- Hume: Möglichkeit und Grenzen der Erkenntnis
- Hume: Möglichkeit und Grenzen der ErkenntnisAls Immanuel Kant von seinem Programm einer kritischen Prüfung der Bedingungen menschlicher Erkenntnis Rechenschaft ablegte, sagte er: »Ich gestehe frei: Die Erinnerung des David Hume war eben dasjenige, was mir vor vielen Jahren zuerst den dogmatischen Schlummer unterbrach, und meinen Untersuchungen im Felde der spekulativen Philosophie eine ganz andere Richtung gab.« Hume, David »Erinnerung« war seine vernichtende Prüfung der überlieferten Begriffe der Erkenntnistheorie, der Theologie und Moral. Die menschliche Erfahrung verknüpft zwei Erscheinungen, die regelmäßig nacheinander auftreten, als Ursache und Wirkung. Noch Locke hatte diese unterstellte Kausalität für ein wirklich bestehendes Verhältnis gehalten. Humedagegen gestand zwar zu, dass wir solche Erfahrungsregeln im praktischen Leben brauchen und immerzu anwenden, dass aber diese Kausalität nichts weiter als eine bloße Vorstellung sei, wenn nicht eine bestimmte Erscheinung mit Notwendigkeit und nach Gesetzen aus der anderen folge.Hume, David teilte die Inhalte des Bewusstseins streng in Eindrücke äußerer Erscheinungen einerseits und in jene zusammengesetzten Vorstellungen andererseits, die erst der Verstand, durch Verbindung von einfachen Vorstellungen, schafft. Für die Letzteren, die Assoziationen, gibt es drei Prinzipien - die schon in den Haushalt der klassischen Rhetorik gehörten -, nach denen die Bildung figürlicher Ausdrücke, etwa von Metaphern und Metonymien, beschrieben werden: Ähnlichkeit, räumliche oder zeitliche Berührung sowie Ursache und Wirkung. Sofern sich die Tätigkeit des Verstandes auf Tatsachen bezieht und nicht auf das Denken selbst (woraus nach Hume, David die mathematischen Sätze hervorgehen), so tritt die Kausalverknüpfung in den Vordergrund, und die Wirkung wird nicht aus der Ursache abgeleitet, sondern aus der Erfahrung geschlossen. Der Verstand schließt bei beständiger Wiederholung der Erscheinung aus dem Prinzip der Gewohnheit und nicht aus dem der Vernunft; insofern weiß er nicht, was eintreten wird, sondern er glaubt es nur zu wissen.Wenn aber die Kausalität lediglich ein (unzulässiger) Schluss aus der Gleichförmigkeit der Natur ist, so lässt sich auch das alte Problem von Freiheit und Notwendigkeit entweder auf Wahrscheinlichkeitsgrade reduzieren oder als bloßer Streit um Worte abtun. Von dieser Sicherheit aus erfolgte HumesAngriff auf theologische Sätze und auf die Wunder, auf welche manche Religionen gegründet seien. Humewar nicht nur ein Erkenntnistheoretiker, sondern auch ein vorsichtiger, aber gnadenloser Kritiker der Religionen und einer der bedeutendsten und erfolgreichsten Historiker seines Jahrhunderts. Ihn beschäftigte die psychologische und historische Erklärung des Phänomens Religion, die er so scharf und zugleich so behutsam vornahm, dass die französischen Aufklärer ihre schärfsten Waffen bei ihm holten, während deutsche religiöse Philosophen wie Hamann und Jacobi sich einbilden konnten, Hume sei einer der Ihren.Vernunfttheologie, also eine Theologie, die sich als Teil der Metaphysik rational zu begründen sucht, war nach Hume, David nicht mehr möglich, und in dieser Hinsicht hat er den »dogmatischen Schlummer« wirkungsvoll unterbrochen. Was Hume, David andeutete, hat Kant detailliert ausgeführt, und dieser konnte darum bei seinen Zeitgenossen, wie Moses Mendelssohn es formulierte, als »Alleszermalmer« gelten. Was nicht Gegenstand des Wissens sein konnte, gab Kant preis. Am Prinzip eines reinen Willens aber und der Möglichkeit, sich durch Freiheit des Übersinnlichen zu vergewissern, musste auch er festhalten. Hume, David hatte zwar die misanthropischen Analysen, die alles Handeln auf Egoismus zurückführen, bestritten, aber mit Shaftesbury sowie der schottischen Philosophie hatte er moralische und sympathische Affekte angenommen. Aus ihnen leitete er einen »inneren Geschmack« zur Unterscheidung des Guten vom Schlechten ab sowie gesellige Triebe, die die Vorstellung eines grausamen Naturzustands, wie sie Hobbesskizziert hatte, ausschlossen. Er blieb aber auch in der Ethik empirisch und ein pragmatischer Skeptiker.Kant nannte neben der Erweckung aus dem dogmatischen Schlummer durch Hume, Davidals zweiten prägenden Eindruck Rousseaus Postulat von der ursprünglichen Güte des Menschen. Ein reiner Wille und selbstloses Handeln müssen als möglich gedacht werden, auch wenn es noch nie tatsächlich einen redlichen Freund gegeben haben sollte. Die Ethik und mit ihr die Politik fallen damit nicht mehr in die Erfahrungswissenschaft, sondern werden auf das eine Prinzip gegründet, auf dem die Würde des Menschen beruht: die Freiheit. Auch beständige schlechte Erfahrungen vermögen dieses Prinzip nicht in Zweifel zu ziehen. Und wenn es auch noch nie eine Demokratie nach Rousseaus strengem Maßstab gegeben hat und vielleicht nie geben würde, so ist sie doch die einzige Staatsform, die der Freiheit des Menschen gerecht wird. Humeselbst lieferte noch keine transzendentale Begründung der Ethik aus einer als notwendig postulierten Idee des Guten. Das Denken der Aufklärung umfasste indes immer beides: die Entlarvung von Vorurteilen, die als Urteile angesehen wurden, ebenso wie die metaphysische Grundlegung, die nun nicht mehr den Gott der Vernunfttheologie, sondern das menschliche Handeln in der Ethik des Einzelnen und im gesellschaftlichen Zusammenwirken in der Politik als vernünftig auswies. Aufklärung heißt also nicht grundsätzliche Zerstörung überlieferter Autorität und nicht Leugnung von Transzendenz. Aufklärung heißt vielmehr der Umbau der Grundlagen des Denkens und seiner tragenden Begriffe, wie ihn nicht anders die schmerzhafte Revolution des astronomischen Weltbildes vollzog. Ebenso unmöglich wie eine Restauration des ptolemäischen Weltbildes durch die moderne Physik war eine Restauration der alten, religiös begründeten politischen Autorität mit den Mitteln der modernen Philosophie.Hume, David war einer der umfassendsten, auch praktisch tätigen Denker des 18. Jahrhunderts. Er, der in Edinburgh aufgewachsen war und schon während seiner Studienzeit mit der Newtonschen Physik sowie den Werken John Lockes in Berührung gekommen war, hatte auch eine französische Bildung genossen und von Montesquieugelernt, mit dem er in Briefwechsel stand. Der philosophischen Tradition Englands, auf der er aufbaute, gab er eine für das zukünftige Denken in Europa entscheidende Wendung. Seine Geschichtswerke über England erreichten den Wirkungsgrad, den Voltaire mit seinem historischen Werk »Die Zeiten Ludwigs XIV.« erzielte. Hume, Montesquieu und Voltaire kämpften als Historiker gleichermaßen gegen die politischen Übergriffe der Kirche im Mittelalter und Absolutismus. 13 Jahre vor seinem Tod, 1763, reiste Hume als Gesandtschaftssekretär zu den Verhandlungen des Friedens von Versailles. Die Philosophen der Aufklärung feierten ihn als kühnen Freidenker, während der Hof um Madame Pompadour in ihm den strengen Tory verehrte.Prof. Dr. Horst Günther
Universal-Lexikon. 2012.